Als leidenschaftlicher Fotograf ertapp ich mich immer mal wieder, wie ich mich in einer Art Routine – nennen wir es mal – “Fließband-Fotografie” verstricke. Ihr wisst schon, diese Art von Fotos, die eigentlich technisch einwandfrei (und sauber) sind, aber irgendwie das gewisse Etwas – also gute kreative Ideen – vermissen lassen. Sie sind wie Fast Food: schnell, routiniert, bequem und erfüllen ihren Zweck, aber es fehlt an Originalität und Kreativität.
Die Mogelpackung der Perfektion der Technik
Ich erinnere mich an die Anfänge meiner fotografischen Reise, als ich stundenlang damit verbrachte, die Technik zu perfektionieren. Das ist wichtig und gehört dazu. Es ist wie die Grammatik beim Lernen einer Fremdsprache.
Ich schaue mir dazu die Werke anderer Fotografen an, lerne aus meinen Fehlern und verfeinere meine Techniken. Aber nach einer Weile bemerkte ich, dass meine Fotos, obwohl sie technisch einwandfrei waren, anfingen, sich zu wiederholen – ohne kreative Ideen. Sie sahen aus wie die Fotos, die ich schon tausendmal gesehen hatte. Sie waren gut, aber sie waren nicht überraschend.
Hier mal ein Beispiel. Das eine ein technisch sauberes Portrait – gut fotografiert. Das andere ein kreativer Impuls, der das Foto ganz neu denkt und auch das Portrait zu etwas ganz eigenem macht:
Kreative Ideen: Was könnte ein Foto kreativer machen?
Eine kreative Fotoidee zeichnet sich durch folgende Aspekte aus:
- Originalität:
Eine kreative Fotoidee sollte etwas Neues und Einzigartiges bieten. Sie sollte sich von den üblichen oder erwarteten Ansätzen abheben und eine frische Perspektive oder einen neuen Blickwinkel auf das Motiv bieten. - Emotionale Resonanz:
Kreative Fotos sind oft solche, die starke Emotionen hervorrufen. Sie können Freude, Traurigkeit, Überraschung, Nostalgie oder eine Vielzahl anderer Gefühle auslösen. Eine kreative Fotoidee sollte darauf abzielen, eine emotionale Verbindung mit dem Betrachter herzustellen. - Innovative Technik oder Komposition:
Kreative Fotoideen können auch durch den Einsatz innovativer Techniken oder Kompositionen entstehen. Dies könnte die Verwendung von ungewöhnlichen Beleuchtungstechniken, die Experimentierung mit verschiedenen Brennweiten oder die Schaffung einer einzigartigen Komposition beinhalten. - Erzählung:
Eine kreative Fotoidee kann auch eine Geschichte erzählen oder eine Botschaft vermitteln. Dies könnte durch die Auswahl des Motivs, die Art und Weise, wie das Foto aufgenommen wird, oder durch die Verwendung von Symbolik und Metaphern erreicht werden.
Die Rolle der kommerziellen Fotografie
Nicht falsch verstehen. Ich liebe auch technisch saubere Fotos und schaue mir viele davon immer und immer wieder an. Auch lerne ich dabei sehr viel! Und natürlich gibt es einen kommerziellen Bedarf für diese Art von Fotos – auch gerade in meinem Bereich der Businessfotografie. Oder nehmen wir die Autowerbung. Da muss es glänzen und imposant sein. Modezeitschriften brauchen perfekte Bilder von makellosen Models. Aber natürlich sind auch dort überall kreative Ideen gewünscht, um die Fotos spannender zu gestalten.
Aber ich begann zu erkennen, dass es in der Fotografie um mehr geht, als nur um den Verkauf von Produkten. Es geht darum, Geschichten zu erzählen, Emotionen zu wecken und den Betrachter zu überraschen.
Kreative Ideen: Die Herausforderung, anders zu sein
Anders sein – und das auch noch auf Knopfdruck – finde ich super kompliziert. Denn es ist nicht einfach, anders zu sein. Und es ist nicht einfach, Regeln zu brechen – gegen Konventionen und Gelerntes.
Die fotografische Gemeinschaft hat oft bestimmte Erwartungen an uns, und es kann beängstigend sein, diese Normen zu hinterfragen.
Was meine ich mit diesen Normen?
Technische Perfektion:
Es wird erwartet, dass das Foto technisch einwandfrei ist, mit korrekter Belichtung, scharfem Fokus und guter Bildqualität.
Klassische Komposition:
Viele erwarten, dass Fotos den traditionellen Kompositionsregeln folgen, wie der Drittel-Regel, der Symmetrie oder der Verwendung von Führungslinien. Kreative Ideen sind aber selten klassisch!
Klare Motive:
Es wird oft erwartet, dass das Hauptmotiv des Fotos klar und deutlich erkennbar ist und dass es sich deutlich vom Hintergrund abhebt.
Realistische Darstellung:
In einer konservativen fotografischen Welt wird oft erwartet, dass Fotos eine realistische Darstellung der Welt bieten. Experimentelle Techniken, kreative Ideen oder abstrakte Darstellungen können als zu “künstlerisch” oder “nicht realistisch” angesehen werden.
Trotz dieser Erwartungen ist es wichtig, daran zu denken, dass Fotografie eine Kunstform ist und dass es Raum für Experimente und vor allem die experimentelle Fotografie, Risikobereitschaft und das Schaffen von etwas Neuem gibt.
Ohne Frage: Es kann beängstigend sein, die Normen zu hinterfragen, aber es kann auch zu einzigartigen und spannenden Fotos führen.
Die Schwierigkeit der Einzigartigkeit
Mit Milliarden von Fotos, die jedes Jahr aufgenommen werden, ist es eine echte Herausforderung, etwas Einzigartiges zu schaffen. Aber ich habe gelernt, dass es nicht darum geht, etwas völlig Neues zu schaffen, sondern darum, meine eigene Perspektive und meinen eigenen Stil in meine Fotos einzubringen.
Lektionen aus anderen Künsten
Ich habe viel Inspiration und kreative Ideen aus anderen Kunstformen gezogen. Filme, Bücher und Gemälde inspirieren mich dazu, mich in meiner Fotografie neue und überraschende Wege auszuprobieren. Ich habe gelernt, dass es nicht nur darum geht, was man fotografiert, sondern auch darum, wie man es fotografiert.
So findest du zum Beispiel in der Musik und Malerei zahlreiche Beispiele für Künstler, die traditionelle Normen und Erwartungen herausfordern und brechen.
Hier sind einige Beispiele:
- In der Musik hat die Avantgarde-Bewegung traditionelle Normen und Erwartungen in Frage gestellt. Ein Beispiel ist der Komponist John Cage, dessen Stück “4’33″” darin besteht, dass ein Musiker für vier Minuten und 33 Sekunden in völliger Stille sitzt. Dieses Stück stellt die Erwartung in Frage, dass Musik aus geordneten Klängen bestehen muss.
In der Popmusik hat die Punk-Bewegung die Normen und Erwartungen der Musikindustrie herausgefordert. Bands wie die Sex Pistols haben sich gegen die kommerzielle und polierte Ästhetik der Mainstream-Popmusik gewendet und stattdessen rohe, aggressive Musik gemacht, die oft politische und gesellschaftliche Themen anspricht.
- In der Malerei hat die abstrakte Expressionismus-Bewegung die traditionellen Normen der Darstellung und Komposition herausgefordert. Künstler wie Jackson Pollock haben Kunstwerke und Gemälde geschaffen, die keine erkennbaren Motive haben und sich stattdessen auf die Ausdruckskraft von Farbe und Form konzentrieren. Dies stellt die Erwartung in Frage, dass ein Gemälde ein erkennbares Motiv darstellen muss.
In der zeitgenössischen Kunst hat die Konzeptkunst-Bewegung die Erwartung herausgefordert, dass Kunst visuell ansprechend sein muss. Künstler wie Damien Hirst haben Werke geschaffen, die sich auf die Idee hinter dem Werk konzentrieren, anstatt auf die visuelle Ästhetik. Das ist irritierend – doch stellt das die Erwartung in Frage, dass Kunst schön sein muss.
Das Element der Überraschung
Foto: Nishant Bharadwaj/unsplash
Eines der wichtigsten Dinge, die ich auf meiner fotografischen Reise gelernt habe, ist die Kraft der Überraschung. Ein unerwartetes Element, ein versteckter Twist, kann ein Foto von gut zu großartig machen. Es kann den Betrachter dazu bringen, einen Moment länger zu verweilen und das Foto wirklich zu betrachten.
Das Zusammenbringen unpassender Elemente
Ich habe auch gelernt, dass das Zusammenbringen von Elementen, die nicht zusammenzupassen scheinen, ein kraftvolles Werkzeug sein kann. Es erinnert mich an die surrealistischen Künstler, die alltägliche Objekte in ungewöhnlichen Kontexten platzierten, um den Betrachter zum Nachdenken anzuregen. In meiner eigenen Arbeit habe ich versucht, dieses Prinzip anzuwenden, indem ich unerwartete Kombinationen von Motiven und Umgebungen geschaffen habe.
Das Verstecken des Hauptmotives
Ein weiterer Ansatz, den ich in meiner Arbeit ausprobiert habe, ist das Verstecken des Hauptmotivs. Indem ich das Hauptmotiv weniger offensichtlich mache und den Fokus auf sekundäre Motive lege, kann ich den Betrachter dazu bringen, das Bild intensiver zu betrachten und mehr Zeit damit zu verbringen.
Was lerne ich daraus?
Die Reise weg von der Fließband-Fotografie hin zu einer mehr experimentellen und überraschenden Fotografie war für mich eine bereichernde Erfahrung. Es hat mich dazu gebracht, meine Komfortzone zu verlassen und meine Arbeit auf eine neue und aufregende Weise zu betrachten. Ich hoffe, dass meine Erfahrungen und Erkenntnisse auch andere Fotografen dazu inspirieren können, ihre eigenen fotografischen Grenzen zu überschreiten und Fotos zu schaffen, die wirklich überraschen und begeistern.
Business-Fotograf | Autor | Fototrainer
Ich liebe die Fotografie und darüber zu schreiben – und das mache ich auf diesem Fotoblog seit 2015 und gelegentlich als Gastautor mit Beiträgen in c’t Fotografie, fotoforum, DigitalPHOTO. Zudem gebe ich Fotokurse, schreibe Fotografie-Ratgeber und arbeite als selbstständiger Business-Fotograf in Berlin und deutschlandweit.